Liebe Eltern, liebe Großeltern, liebe Leserinnen und Leser,
als ich gestern folgenden Artikel las, konnte ich es beinahe nicht glauben.
„‘Skandalöse Zustände’: Eltern erheben schwere Vorwürfe gegen Geschäftsführer einer Leipziger Kita“ schreibt mein Kollege Mark Daniel. Eltern gehen an die Öffentlichkeit und kämpfen lautstark für die Rechte ihrer Kinder? Verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn es darum geht, seine Kinder im familiären Umfeld, auf dem Spielplatz oder im Supermarkt zu verteidigen finden Eltern meist klare Worte. Aber gegen politische und institutionelle Missstände laut aufbegehren? Das passiert nun doch eher selten.
Was war also passiert? Ein Beirat aus Eltern, deren Kinder eine Lindenauer Kita besuchen, hat in einem Offenen Brief an die Stadt Leipzig und das Landesjugendamt eklatante Missstände angeprangert. Die Rede ist von Kindeswohlgefährdung, einer seit Monaten fehlenden Kita-Leitung, häufig wechselndem Personal, einem Mangel an ausgebildeten Fachkräften, einem Klima zwischen Angst und Demütigung durch den Vorgesetzten. Zudem seien die Öffnungszeiten reduziert und Eltern gebeten worden, ihre Kinder früher abzuholen. Puh. Das sind harte Vorwürfe.
Das also muss passieren, damit Eltern aufbegehren. Die Corona-Pandemie zeigt es gleichbedeutend. Eltern machen fast alles mit. Still. Diszipliniert. Stoisch durchhaltend. Aber warum ist das so? Ich vermute, es liegt an Kapazitäten, fehlender Kraft und der Relativierung eigener Maßstäbe. Und Angst.
Schauen wir doch mal genauer hin. Eltern gehen arbeiten und holen ihre Kinder dann meist direkt von der Kita ab. Einkaufen, Haushalt, ein Minimum an Freizeitaktivität und schwupps ist der Tag auch schon vorbei. Gleichzeitig treffen Eltern in den Einrichtungen auf tolle Erzieher und Erzieherinnen, von denen viele ihr Bestes geben. Isst das Kind also vorbildlich mit Besteck, räumt sein Zimmer ordentlich auf und hat ein neues Gedicht erlernt, lassen sich die Gedanken an offensichtliche Missstände in der Betreuung ganz einfach verdrängen. Denn die gibt es in etlichen Einrichtungen Leipzigs, wie Gespräche mit Eltern offenbaren, deren Kinder verschiedene Kitas besuchen. Und die Schnittmengen – Bitte um früheres Abholen, fehlendes Personal, wechselnde Bezugspersonen – sind nicht wegzureden.
Und zum letzten Punkt: Die Lage auf dem Kita-Markt mag sich in den vergangenen Jahren gebessert haben. Aber wir sind noch weit davon entfernt, dass Eltern die Fremdbetreuung ihres Kindes nach eigenen pädagogischen Maßstäben aussuchen können. Viele von ihnen sind noch immer froh, wenn ihr Kind in einer für sie halbwegs gut erreichbaren Einrichtung angenommen wird, nachdem sie sich die Finger wund telefoniert und in mehreren Kitas vorgestellt haben. Das kann es doch nicht sein!
Kindertagesstätten sind mehr als Bewahranstalten für unser Liebstes, damit wir arbeiten gehen können. Feste Bezugspersonen über die volle Kitazeit, Verlässlichkeit, Stabilität stehen unseren Kindern hier zu. In Kitas treffen sie im besten Fall auf Erzieher und Erzieherinnen, die sie liebevoll in Empfang nehmen und an unser statt durch den Tag begleiten. Sie fordern und fördern. Für viele von ihnen war die Jobwahl eine Herzensangelegenheit. Doch der unterirdische Betreuungsschlüssel und der Fachkräftemangel – sicherlich auch hervorgerufen durch eine langjährige, oftmals teure Ausbildung bei keinerlei Bezügen – macht ihre tägliche Arbeit unnötig schwer. Und hindert sie daran, sich vollends an den Bedürfnissen unserer Kinder zu orientieren.
Und Eltern? Sie dulden und suchen das Positive. Weil ihnen die Kraft für mehr fehlt. Weil sie sich für ihre Kinder und sich selbst in Optimismus bemühen. Und weil es anderswo noch schlimmer zugeht.
Herzlichst
Ihre Patricia Liebling
Redakteurin LVZ Familie